KALIFORNIEN 25. März - 1. Mai 2007

"Geht ihr auch nach USA in die Ferien???" frage ich die siebenköpfige mexikanische Familie vor uns in der Schlange." Nein, nein! Wir wollen in Kalifornien zu meinem Bruder, dort leben und arbeiten! Wir stehen hier schon zum fünften Mal und hoffen, dass wir diesmal alle Papiere vollständig haben!". Dabei tippt er siegessicher und mit breitem Lachen  auf die fünf Zentimeter dicke Mappe, die er unter dem Arm trägt.

Mein zweifelnder Blick über unsere Anwesenheit in dieser meterlangen Immigranten-Schlange schweift von einem Ende zum anderen. "Wir wollen doch nur dieses klitzekleine grüne Zettelchen ,das uns eine visumsbefreite Durchreise bestätigt!" maule ich aufgebracht . Alles Nachfragen hilft nichts. Es ist die einzige und wahre Schlange, die ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der uneingeschränkten Freiheit fuehrt!!!!

Gut ist der Tag noch jung und die Schlange nicht ganz so lang wie es anfänglich den Anschein hatte. Wir unterhalten uns in den nächsten drei Stunden prächtig und hören uns die unterschiedlichsten Geschichten und Beweggründe von den mehrheitlich mexikanischen Familien um uns herum an.

Als wir da so stehen, durch Eisenstangen getrennt von der Fahrzeugschlange werden wir Zeugen einer illegalen Einwanderung: Ein flachsig verwahrlost aussehender Schlepper, hier Kojote genannt, lotst seinen "Klienten" kauernd und kriechend zwischen der Autokolonne hindurch, um ihm mit einem heftigen Schups im richtigen Moment das Zeichen zum Losrennen zu signalisieren. Während sich Tumult zwischen amerikanischen Zollbeamten, deren Hunden und dem Überläufer explosionsartig ausbreitet entwischt der Schlepper ungehindert nach Mexico, wo möglicherweise der nächste zahlende Kunde auf ihn wartet. Ich stelle mir vor, wie das Leben des illegalen Einwanderers verlaufen wird: Einsam auf der Flucht, immer in Angst, angezeigt oder von skrupellosen Arbeitgebern ausgenutzt zu werden, die ihn für wenig oder gar keine Bezahlung arbeiten lassen. Vielleicht hat er aber Familie in  den USA, die ihn aufnehmen, verstecken, ihm Essen, Arbeit und eventuell Papiere besorgen können.

Als wir an der Reihe sind, durchlaufen wir eine Reihe von Fragen, deren meisten Antworten wir schon auf einem vorher ausgefüllten Fragebogen mit Schmunzeln angekreuzt hatten. Korrekt, höflich, aber auch misstrauisch über unser Reisevorhaben, überzeugt den Zollbeamten dann unsere Website, die er in aller Ruhe und sichtlich beeindruckt, bewundert. In Sorge, ob die gestatteten drei Monate wohl ausreichen, um von Calexico bis an die kanadische Grenze zu radeln, meldet er uns dort vorsorglich in genau 90 Tagen an.

Als stolze Besitzer eines grünen Zettels, der uns visumsfrei durch die USA radeln lässt, stehen wir nun an der Passkontrolle, um dort unsere Fahrräder abzupacken, scannen zu lassen, wieder aufzupacken und draußen sind wir aus diesem Zollgebäude, ausgespuckt nach fünf Stunden formeller aber respektvoller Abfertigung.

Ziemlich verwirrt und überrascht, nicht zu sagen etwas unbeholfen, stehen wir hier an der Pforte zur neuen Welt.

Mac Donalds ist das erste, was wir sehen. Dann Jack in the Box und daneben Kentucky Fried Chicken. Dazwischen Starbucks Coffee! Na, da bin ich mal gespannt, wie unser Ernaehrungsplan mit diesem Angebot klarkommt. Wie auch immer, zur Feier des Tages mieten wir uns ein Motelzimmer und besuchen eines der zahlreichen Fastfoodlokale, was dann alles andere als feierlich ausfällt. Wenn ich nicht einen grünen Zettel auf der Frontseite über meine Personalien gepinnt hätte würde ich kaum bemerken in einem anderen Land zu sein. Um uns herum ist alles mexikanisch, Sprache, Gesichter, Kleidung und Straßennamen.

Wir freuen uns darüber und genießen den langsamen Einstieg in "los Estados Unidos".

wo die großen Autos leben.....

Wir sind hier östlich der Küste und beschließen eine großräumige Umfahrung der Städte San Diego und Los Angeles. Wir wollen Richtung Salton Sea, weil Wasser, so finde ich, klingt immer gut.

Schüchtern und etwas vorsichtig verlassen wir das teure und wenig gemütliche Hotel. Riesige Pickups und wenig befragungswürdige Fußgänger machen es uns schwer, den besten Weg aus dieser ungastlichen und hektischen Grenzstadt zu finden. Hier gehen nur die zu Fuß die ihr "Boot",(sorry, das Wort Auto würde meiner Vorstellung nicht entsprechen) , gerade zwei Meter weiter weg geparkt haben, um sich Zigaretten zu kaufen, denn um sich einen Cafe zwischen das Steuer und den Aschenbecher zu klemmen fahren diese "Boot-Besitzer" in den "Drive -Thru- Coffeshop". Die Strassen sind dreispurig und die röhrenden ....ich weiss nicht wie viel Zylinder Monster machen wenig Anstalten uns eine Fahrbahn zuzugestehen, also geht eine radikale Überlebenstaktik zwischen unsteten Schaukelanwandlungen und Ausweichmanövern in den Strassengraben vonstatten. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen Menschen zwecks Informationsaustausch in steril wirkenden Wohnsiedlungen zu finden haben wir es geschafft die Stadt in Richtung Norden zu verlassen.  

Dann und wann durchradeln wir kleine Ansammlungen von Wohnmobilen, die durch die Abnahme ihrer Räder und angebaute Gartenbeete zu Wohncontainern umgebaut wurden. Jedes dieser Häuser steht in der Mitte eines Riesenstück Landes und nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen, würde ohne Auto zum Halbmarathon ausarten. Auf einem Riesen Parkplatz ist ein Flohmarkt zur Heimatstätte andersartiger und weltfremder Intellektueller gewachsen. Es sieht aus wie ein provisorischer Wellblechpark mit speziellen Persönlichkeiten inbegriffen. Wir sehen es als Chance, einige unserer Bücher einzutauschen. Die Idee wurde dann jäh in Luft aufgelöst, als ich in die Liebesromanecke geschickt werde und Dipo sein Buch "The golden Ratio" feilbietet und daraufhin begeisterte Ausrufe über des Besitzers Liebhaberei zu  "Sience Fiction" Bücher erntet.

Dipo verkneift sich eine Antwort und ich stehle mich "buchlos "aus der Romanecke.

Mit eingezogenem Genick und distanziert freundlichem Lächeln machen wir uns auf zum Rückzug. Der freundlich hinterher rufende Marktständler hätte da noch "The Kritters" und "Blue Lagoon" anzupreisen.

Zu dem Zeitpunkt sind wir schon außer Hörweite und brechen in lautes Gelaechter aus. Nur einige Meilen später, etwas abseits der Hauptstrasse, besuchen wir das weltbekannte Unikum Linard. National Geographic berichtete über den Adobeberg, gestaltet und kreiert von dem andersgläubigen Jesusjünger Linard. Es war unter der Rubrik: "Die verrücktesten Künstler und ihre Werke."

Wir beklettern und bestaunen seinen Berg und mit guten Wünschen und Gottes Segen im Gepäck rollen wir weiter zum Salton Sea. Wir erreichen den Salzsee und weil es schon spät ist, bauen wir unser Zelt hektisch im letzten Tageslicht auf. Aus dem Morgenbad wird nichts, denn der Geruch nach faulen Eiern, der uns nachts immer wieder die Nasen rümpfen lässt, scheint mir morgens noch intensiver. Auch den Fischen scheint das Wasser unpässlich, denn sie liegen zu Hunderten am Strand herum. So schnell es geht, schwingen wir uns aufs Rad und stürzen uns auf die belebte Strasse.

Die nächste Nacht verbringen wir gut geschützt hinter einer Sheriffstation und den lustigen Beamten, die uns freundlich diesen Ort anbieten, da der Rest der Stadt von alkoholisierten Raufbolden heimgesucht wird. Wir rollen durch diese Wüste und versuchen uns mit jedem Kilometer darauf einzustellen, in Nordamerika zu sein. Die trockene einsame Gegend gibt uns Zeit und lässt den Kulturschock etwas sanfter auf unseren Gemüter landen. Wir sind froh, den Einstieg über das Hinterland von Kalifornien gewählt zu haben. Weit ist das Land und leer. Wir rollen durch trockene Gegend mit wunderschönen Felsformationen. Es ist, als könnten jeden Moment John Wayne und ein paar Indianer am Horizont auftauchen, welche definitiv besser in die Landschaft passen würden als wir mit den Stahlrössern. Wir überwinden kleine Bergkuppen, während Riesenwindräder von Alternativenergiegewinnung zeugen.

Der Verkehr ist unterschiedlich stark und wird immer mehr zum Thema in unserer Routenplanung. Pannenstreifen oder nicht, kann zur Entscheidungsfrage zwischen Leben und Tod werden. Viele Autofahrer hier in der Wüste fahren unglaubliche Riesenvehikel, die wie ein ohrenbetäubendes Erdbeben haarscharf an uns vorbeischießen. Leere Blechdosen oder Flaschen fliegen uns zwischen die Speichen. Während der Fahrt wird gleichzeitig telefoniert und Kaffee getrunken. Die Situation spitzt sich zu: Von Tag zu Tag gleicht unsere Reise mehr einem Überlebenstraining als einer Abenteuerfahrt. Als ich nach einer lebensbedrohlichen Attacke eines Schulbusfahrers, der erst mich und dann Dipo von der Strasse drängt, flippe ich gestikulierend aus und weigere mich, völlig entnervt, nur noch einen Tag länger auf dieser "A...lochbevölkerten Strasse" zu fahren. Wir suchen uns abgelegene Wege, die uns durch landschaftlich tolle Gegend führt und wir treffen die Amerikaner, die unseren Eindruck nachhaltig für die nächsten Wochen prägen sollten. Unglaublich höfliche, spontane und fröhliche Menschen. Wir werden von Jennifer in ihr Haus eingeladen, bekocht und verwöhnt. Wir werden von Brad durch das komplizierte Verkehrssystem seiner Stadt geleitet, bis wir offizielle Fahrradwege erreichen. Mitten in Palm Springs drückt uns Jeff 50 Dollar in die Hand und sagt:" Diese Investition war meine beste heute. Ich kenne diese Organisation, ich bin selbst Arzt"

Wir treffen 50 radelnde Polizisten aus Los Angeles, die einen Memorialride für ihre im Dienst getöteten Kollegen machen. Sie laden uns zu ihrem Lunch ein und interessieren sich brennend für unseren "Charity ride". Unser Weg führt uns in die gleiche Richtung und bis zu diesem Tag ahnte ich nicht, dass es Spaß machen könnte, eskortiert von 50 Polizisten der Küstenstadt Ventura entgegenzurasen. In Ventura trennen sich unsere Wege: Die Gesetzeshüter/ innen zurück nach Los Angeles und wir gen Norden. Kaum in Ventura, noch immer arglos unbestückt mit guten Straßenkarten, fragen wir einen Radfahrer nach dem schönsten Weg zum nächsten State Park. Den Satz noch nicht beendet, finden wir uns in Jims Wohnzimmer vor einem Riesenfernseher wieder, der uns auf SEINER Karte die besten Wege zeigt (er ist Städteplaner, verantwortlich für das Fahrradwegenetz von Kalifornien).

Natürlich bleiben wir bei ihm und selbstverständlich verbringen wir einen tollen Abend mit ihm und seinem Freund, der uns Dias von seiner Reise nach Alaska zeigt. Ausgeschlafen, vollgegessen und dankbar für diese tollen Reiseinformationen, machen wir uns auf den Weg  entlang der kalifornischen Küste.

Die Küstengegend ist für Biker und andere Sportler gut erschlossen und wir fühlen uns besser aufgehoben als noch vor einigen Tagen. Viele Sportler kreuzen unseren Weg und der Strand ist bevölkert von jung und alt. Die Stimmung ist fröhlich und wir werden von einer ungezählten Nummer an Interessierten angesprochen, angehalten, befragt und unsere Website gewinnt innert weniger Tage an Popularität. Natürlich werden wir mit der Breitseite einer deutschen Eiche darauf hingewiesen, dass wir dringend ein in Amerika funktionierendes Spendenkonto brauchen und in englisch übersetzte Reiseberichte anbieten sollten. Was für ein Glück, dass Fotos in allen Sprachen der Welt funktionieren.

Vor lauter toller "wie kann ich befahrene Strassen vermeide -Tipps" landen wir in einer Sackgasse im schönsten Viertel von Santa Barbara. Als wir kopfkratzend über  unserer relativ großräumigen 1:1000000 Landkarte grübeln hält neben uns und mitten auf der Kreuzung ein Auto an. Der sportlich aussehende Fahrer hupst aus seinem dunklen Audi, öffnet den Kofferraum, zaubert dort eine Karte der Region heraus und fragt uns ganz nebenbei: "Hey Guys, are you lost???"(habt ihr euch verfahren)

Nach kurzer Symphatiebekundung meint John: "Wollt ihr nicht in meinem Haus übernachten? Ich hab ein ganzes Haus für mich und morgen begleite ich Euch dann mit dem Fahrrad auf den richtigen Weg?" Ein kurzer Blick genügt und schon sind wir überredet.

Als wir auf einem Hügel bei einem wunderschön gelegenen Haus, es ist das letzte ganz oben, mehr oben ist nur noch der Himmel, angekeucht kommen, werden wir bereits von John und seinem Tennisfreund Bob mit einem eisgekühlten Bier erwartet.

Wir kochen zusammen, lachen viel und reden und innerhalb der nächsten drei Stunden ist ein Wochenprogramm gefüllt mit Tennis, Joga, Bootsausflug, Beachvolleyball, Flugstunden, Barbecues und vielen anderen lustigen Dinge, die wir schon lange nicht mehr oder noch nie gemacht haben!

Frühmorgens werden wir mit fröhlichem Gehupe eines knallgelben VW-Käfer Cabriolet Baujahr 72 geweckt, der uns Bob für die nächsten Tage zur Verfügung stellt. "Ihr seid hier in Kalifornien, da muss man am Strand entlangcruisen!", so Bob!!!

Während Dipo im Tennisclub herum gereicht wird, hab ich also alle Zeit der Welt die schöne Stadt und die unglaublichen Strände rund um SB abzuklappern, allerdings gut eingepackt, da die Temperaturen alles andere als zum Sonnenbade laden. Santa Barbara ist eine ziemliche Hip- Kommune mit vielen Künstlern, Exzentrikern, und anderen Filmdivas. Den Menschen hier mangelt es gut sichtbar nicht an finanziellen oder anderen Annehmlichkeiten des Lebens, sogar die Obdachlosen sind kreativ und hip!

Wir bringen unsere Website auf den aktuelleren Stand und besuchen Kunstausstellungen und andere interessante Menschen in und um Santa Barbara.

Nach sechs Tagen zwingen wir uns zur Weiterreise. Ein Herz voll liebenswürdiger Menschen, schönen Erlebnissen und neugewonnenen Freunden macht uns den Abschied schwer. Reich an unglaublichen Eindrücken, Erfahrungen und um einem guten Freund mehr, radeln wir in seiner Begleitung das erste Stück gen Norden. Eine innige Umarmung und die Sicherheit auf ein Wiedersehen irgendwann, spiegelt sich in unseren Augen und weiter geht’s unserem ferner Ziel Alaska entgegen. Bewegt und berührt über so viel Herzlichkeit und Großzügigkeit fahren wir still in den Wind.

Unsere neue und alte Website lädt Dich ein für "Ärzte ohne Grenzen" zu spenden unter www.firstgiving.com/bikeride

Da wo der Wind dich in den Süden bläst......

Die Küste ist atemberaubend schön. Wir halten an exponierten Stellen und genießen diese Ausblicke minutenlang. Wenn die Sonne sich abends verabschiedet sitzen wir meist schon in einem der exzellent organisierten State Park vor unserem Zelt und kochen die verrücktesten Kombinationen von feinstem "Organic- Food"!

Das Wetter ist uns wohlgesinnt und dabei spreche ich von der Farbe des Himmels, denn die Wasserfarbe ist, wenn der Himmel blau ist, überzogen von weißen Schaumkronen und die Riesenwellen fliegen, während sie donnernd über dem Riff brechen und hart an der schroffen Küste nagen. Ja, die Gischt fliegt uns entgegen. Wir strampeln wieder mal gegen den Wind, und das nicht zu knapp!

Ich habe da ein Tourenbeschrieb von einem Biker gefunden, der unsere Reiseroute an der kalifornischen Küste befahren hat und sie aufgrund der Windverhältnisse und der dadurch verblasenen Wahrnehmung nach Jahren von Nord nach Süd wiederholt. Mit dem Vermerk "Why from North to South" bringt sein Teilstreckenbegleiter die Situation so treffend auf den Punkt, dass ich hier einen Abschnitt zitieren möchte:

" As a West Coast native, i am proud of our beautiful coast and expected Tom to be thrilled by the scenery as well as by the challenge of the ride. I was terribly envious. But something happened as Tom rode on by himself. North of Santa Barbara, he encountered stiff headwinds that blew the fun right out of his adventure. Scenery and the thrill of exploring became secondary to his daily battle with the wind. The wind created an invisible, never-ending hill that had to be constantly climbed. The wind beat dirt into his face, produced an annoying whistling sound through his helmet, and attempted to push him back to Mexico. By San Francisco ,riding had become a chore. In Oregon, 8mile-per -hour winds blew him to a stop while going down a steep hill. In Washington, he had 3hours of peace when a very wet storm blew through from the south, giving him a much-appreciated tailwind."

Den Wind, den ich so liebe! Aber nur, wenn ich ein Segel in der Hand halte! Ansonsten ist es ein Kampf gegen Windmühlen, besser verbringt man diese Zeit doch mit dem Lesen eines guten Buches. Der Gegenwind zwingt uns jeden Morgen  zum frühen Aufbruch, denn nachmittags wird er richtig penetrant. Wir fahren dieser unbeschreiblichen Küste entlang und mit Big Sur sei nur eine Schönheit genannt , die dieser Reiseabschnitt für uns bereit hält. Die Menschen sind extrem freundlich, zuvorkommend und interessiert und nehmen in jeder erdenklichen Minute Kontakt mit uns auf. Es braucht nur den Bruchteil einer Sekunde, einen Augenkontakt, und wir finden uns mitten in einem Gespräch wieder, werden eingeladen oder einfach nur ausgefragt.

Die Küste ist einzigartig , wild und grün! Die See ist dominant, stürmisch und herrisch Die Wellen unglaublich harsch, gigantisch und faszinierend! Wir entdecken zahlreiche Aussichtspunkte, wo wir gerne verweilen oder picknicken. Die Aussicht ist schlichtweg unbeschreiblich. Ich versuche Fotos zu machen aber sie scheinen nur ein Abklatsch der Realität, trotzdem versuche ich es immer wieder mit meiner kleinen digitalen Kamera.

Ich bin froh, dass Dipo ne richtige Kamera hat und es ihm damit sicher besser gelingt diese Stimmung und einzigartige Farbe und diese Kraft einzufangen!

Wir finden jeden Abend einen geeigneten Ort um unser Zelt einzurichten und entdecken Rehe, Hasen, Schlangen und wunderbare Vogelstimmen wiegeln uns in den Schlaf! Nachts wird es manchmal etwas unruhig wenn freche Waschbären unser Nachtlager nach Essensresten durchkämmen.

Morgens ist es feucht und oft nicht wirklich einladend aufzustehen , weil das Zelt klatschnass und der Schlafsack so kuschelig warm ist!

Trotz allem laufen wir nach sieben Tagen bei Karen und Jay in San Francisco ein, zwei tolle Menschen denen wir in Chile vor einem Jahr begegnet sind. Wir bekommen eine Wohnung zur Verfügung gestellt, und wunderbare Gesellschaft für sechs Tage. San Franzisko bietet so viel Kultur, Kunst internationales Publikum, dass wir das Gefühl haben keine Zeit der Welt würde ausreichen ,sich hier einen Überblick zu verschaffen.

Während Dipo mit einer "zünftigen" Grippe das Bett hütet, stromere ich durch die Stadt. Eine unglaublich positive, freundliche, internationale Bevölkerung macht es mir leicht, mich sofort in San Franzisko zu verlieben. Künstler, Geschäftsleute, Familien, Verrückte, Schwule, Obdachlose, Alleinerziehende Mütter, Feuerspucker und viele mehr versammeln sich zu einem Multikulti der besonderen Art! "Nichts ist sicher, alles ist möglich " dieser Spruch, den wir eigentlich Süd- und Zentralamerika zugedacht haben findet hier auch seine Plattform! Nicht nur im Latino Viertel, wo nichts in der Welt dir verraten hätte, wo du tatsächlich bist, genau so in Chinatown oder in Klein -Italia!

Bei Jay, der in der Hafenadministration arbeitet, bestaunen wir ein unglaubliches Bild von San Franziskos Hafen zur Zeit des Goldrausches. Im Stich gelassene Riesensegler füllen das Hafenbecken. Sämtliche Besatzungsmitglieder der eintreffenden Schiffe rennen, dem Goldrausch verfallen, von Bord. Heute liegen diese Schiffe verborgen unter Sand und Schlamm und den 30-Stockwerk-Geschaeftshausern der "Downtown"!!!

Am Abschiedstag begleiten uns unsere bikebegeisterten Gastgeber Karen und Jay durch San Franzisko. Die Fahrt gen Norden führt uns über die Golden Gate Brücke. Ein seltsames Gefühl beschleicht mich. Die Brücke ist ein Etappenziel wie Quito in Ecuador, die Überfahrt nach Panama oder die USA-Grenze.

Ist es Wehmut, Stolz, Trauer? Wir stehen an der Rampe zur Brücke und blicken stumm auf die 1934 konstruierte Eisenschönheit und irgend wie realisieren wir beide, dass diese Reise sich an einem Wendepunkt befindet. Bis anhin konnten wir uns Lateinamerika noch etwas bewahren, ab jetzt sind wir im richtigen Amerika bei den richtigen Amerikanern!(ich bitte um Nachsicht dieser sehr subjektiven, gefühlsbetonten Äußerung)

Obwohl wir schon seit einigen Wochen, die Bioläden mit ihrem reichhaltigen Angebot, die eher intellektuelle Westküste Amerikas mit Künstlern und Bush-kritischen Erdenbürgern Althippies und Edelesoterikern, mit umweltfreundlichen Entwicklungsideen und privilegiertem Lebensstandard genießen, radeln unsere Seelen noch in Lateinamerika umher. Diesen Umstand spüren wir am deutlichsten, wenn wir auf einen der zahlreich spanisch sprechenden Immigranten treffen und unsere Magengrube vor Freude zappelt.

Wir fahren also über diese weltberühmte Brücke und freuen uns auf das viele andere was da auf uns zukommt. Wir haben uns angewöhnt, trotz intensivem Moment-Reiseerlebens immer ein nächstes Ziel zu stecken und das ist in diesem Falle "Nordamerika "erleben, erspuren, erduften und eintauchen in diese so ganz neue Welt.

Vor uns liegt Nordkalifornien und die Staaten Oregon und Washington. Wir werden uns an der Küste entlang gen Norden hangeln und diese weltberühmten Küstenabschnitt trotz Gegenwind genießen.

... die ihre Heimat lieben....

Es ist herrlich zu sehen wie hier die Schönheit der Natur ihre Bewohner erquickt. Wir werden immer wieder Zeugen begeisterter Lobgesänge und Glücksausrufe der Küstenbewohner. Sie wirken fröhlich und schwärmen über die Vorzüge des hier seins und hier leben. Sie heißen uns immer wieder herzlich willkommen und machen uns auf die atemberaubende Küstenstraßenaussicht, die menschenleeren Strände und die duftende Wildheit aufmerksam, die hier jedem der es erleben will, offen zugänglich ist.

Es ist wirklich verrückt aber wir staunen jeden neuen Tag über die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der Menschen. Interessiert und hilfsbereit wollen sie immer zu alles mögliche für uns tun. Langsam schon beschleicht mich das Gefühl das wir total hilflos, verloren und ausgehungert auftreten, letzteres trifft jedoch bei näherem hinsehen überhaupt nicht zu, wie ich unlustigerweise zugeben muss.

Eine ältere Dame schleppt uns zu einem belgischen Feinschmeckerschokolade-Confiseur und meint: "Na dann sucht euch mal nach Lust und Laune aus!"

  • Wollt Ihr in unsrem Garten übernachten oder lieber
    im Gästehaus?
  • Darf ich Euch zum Essen einladen?
  • Einfach fantastisch was Ihr da macht!
  • Der Cafe geht aufs Haus!!!
  • Ich bewundere Euch!!
  • Wollt Ihr Euch im Auto aufwärmen?
  • Wo schlaft Ihr denn heute Nacht? Waaaas im Zelt! Nix da ihr kommt zu mir!!!
  • Ihr seid Inspiring!!!!
  • Kann ich etwas für Euch tun???

Ich könnte diese Liste um einige Seiten ergänzen und ich brächte mit Worten nicht herüber was diese Gastfreundschaft, Anteilnahme und Großzügigkeit für Auswirkungen hat auf unsere Reisemotivation. Wie Marathonläufer, die vom Straßenrand angefeuert werden, kämpfen wir gegen den Wind und strampeln, wenn auch nicht immer lächelnd, gen Norden.

An der Küste sind in velotechnisch gesehen guten Abständen gemütliche, idyllisch gelegene "Campgrounds" und wenn wir nicht gerade von einer kalifornischen Familie oder einem passionierten Biker zu sich nach Hause geschleift und bekocht werden, genießen wir stille Abende an verträumten ,zeitlich bedingt noch Tourismus verschonten Plätzchen. Die Nächte sind kühl, die Waschbären rotzfrech und die Vögel hyperaktiv.

Wir sprechen über Tageserlebnisse, den Wind die Schönheit dieses Landes. Wir fragen uns wer wohl Präsident Bush gewählt haben mag (weil es jedem, dem wir begegnen es wichtig scheint, uns mitzuteilen, dass er es bestimmt nicht war) und wir bemerken, wie sehr sich unsere Reise hier in Nordamerika von der Reise in Südamerika unterscheidet. Wir versuchen auch hier wertfrei die Stimmung im Land wahrzunehmen, den Leuten zuzuschauen und das mitzunehmen was uns wichtig erscheint!

"Avenue of the Giants" zeigt uns der langersehnte Wegweiser am Abzweig zum Humboldt Redwood State Park. Der Name des deutschen Forschers ist hier allgegenwärtig: Schulen, Universitäten, Strassen und Eiskremsorten sind nach ihm benannt. Es ist noch früh in der Saison und wir haben den gewundenen Traumpfad durch die Strasse der Giganten fast für uns alleine. Manche 2000 Jahre alt, wahrhaft gigantisch, ragen die Redwoodbäume in den Himmel. Mir fehlen die Worte, dies zu beschreiben. Mit 110 m und Stammdurchmessern von 7m die mächtigsten, größten und ältesten lebenden Geschöpfe der Erde (um es in der Superlativsprache der Amerikaner auszudrücken). Doch diese Zahlen geben immer noch nicht wieder, was wir fühlen, wenn wir anhalten,  den Kopf in den Nacken legen und ... lauschen. Welche Magie!

Als die ersten Europäer auch nur einen Fuß auf diesen Kontinent setzten, standen diese Riesen schon 1500 Jahre da. Der unersättliche Drang nach immer mehr Schiffen, Hausen und Brücken hat dazu geführt, dass innerhalb einiger weniger Generationen 90 % des gesamten Bestandes an Redwoods abgeholzt wurde. Mir ist unerklärlich, wie so etwas geschehen kann, eine Vergewaltigung sondergleichen! Es ist einigen "Verrückten" Anfang des 20. Jahrhunderts gelungen, große Gebiete Wald zu kaufen und die ersten Nationalparks waren bald geboren. Jetzt stehen die "sequoiae sempervirens" da wie Inseln und trotzen weiterhin Fluten und selbst wütenden Waldbränden.

"Kommt mit, ich zeige Euch unser neues Besucherzentrum!". Die junge Frau vom Stamme der Yurok führt uns durch die runde Tür des modernen Holzhauses. Computer, Fax und professionelle Bueros sowie phantastische Ausstellungen erinnern so gar nicht an ein Wigwam aus den Karl May Filmen. Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins ist auch der neue Name der Ureinwohner: "First Nations" nennen sie sich, "Indianer" zu sagen ist politisch inkorrekt. Die Weißen werden "Visitors" genannt. Auf den ersten Blick scheinen die dringendsten Probleme gelöst: Die schlimmsten Auswüchse von Alkohol und Drogen, bittere Armut und Verwahrlosung sind nicht mehr so offensichtlich wie noch eine Generation zuvor. Den Ureinwohner werden umfangreiche Zugeständnisse gemacht, die Reservate stellen eigenständig verwaltete Staatsgebiete dar und das alleinige Recht auf das Betreiben von Casinos bleibt allein ihnen vorbehalten. Wiedergutmachung? Schweigegeld? Was hat ein Casino mit traditionellen Lebensgewohnheiten gemeinsam? Ist das Auftreten der Weißen und alles, was danach kam, überhaupt wieder gutzumachen? Leider ziehen sich diese Geschichten wie ein roter Faden entlang unserer Reiseroute, von den Yamana in Feuerland bis wahrscheinlich hinauf zu den Inuit in Alaska. Die Arroganz der Eroberer und ihre verheerenden Waffen, sei es Eisen, eingeschleppte Krankheiten oder der Alkohol sind leider ein historischer Fakt, unumkehrbar. Erfreulich jedenfalls stimmen viele Bemühungen, die Sprache, die Handwerkskunst und alte Rituale, jahrelang verboten, nun wieder zum Leben zu erwecken und an die Kinder weiterzugeben.

Ich lasse keine Gelegenheit aus, zu fragen, wie es um die "Indianerpolitik" bestellt ist. Die Antworten sind sehr kontrovers. Sehr plastisch im Liquorstore zu beobachten, wo der Arbeiter (weiß) seinen Vordermann (rot) argwöhnisch beobachtet, wie jener auf sein Bier keine Mehrwertsteuer zahlt: Sprengstoff auf unterster Ebene!

Wir radeln wieder mal davon mit mehr Fragen als Antworten im Kopf, auf langen, windgepeitschten Geraden bleibt genügend Zeit, die Welt mit revolutionären Ideen zu verbessern.

"Passt bloß auf, da oben in Oregon sind nur Bekloppte, die auf Baume klettern und kiffen!". Na also, da freuen wir uns doch und schwups sind wir über die Grenze nach Oregon gerollt.

dipo

38 | USA - Kalifornien (25.03.07 - 01.05.07)