Die Berichte

Paso Jama (29. Juni) – Bolivien – Uyuni (12. Juli)

San Pedro de Atacama
San Pedro de Atacama ist eine Oase in der Wüste. Ein touristischer Ort, der mit viel Geschick auf die Bedürfnisse der internationalen und nationalen Besucher eingeht. Souvenirläden, schön gestaltete Hotels mit internationaler Küche und open air Restaurants mit offenen Feuerstellen. Das Angebot beinhaltet alles, was das Herz nach entbehrungsreichen Tagen begehrt. Wir erreichen das Dorf in Zeiten grosser Festlichkeiten und geniessen das bunte Treiben, die wilde Musik und die unglaublichen Kostüme. Da wir unsere Fahrräder überholen, Ersatzteile und andere Dinge besorgen wollen, mieten wir uns einen Jeep und verbinden den Besuch der Stadt Calama mit einer Tour. Unser Abenteuer beginnt um 4 Uhr Morgens in Richtung der Geysire von el Tatio, die man in der Erwärmung des Tagesanbruchs, wenn man von -10 Grad von Erwärmung sprechen darf, sprudeln und spucken sehen kann. Ein erfrischendes aber spannendes Schauspiel. Danach bringt uns unsere Safari durch die Atacamawüste, welche als der trockenste Ort der Welt gilt, nach Calama, eine potthässliche Stadt, die uns jedoch an diesem Tag alle Wünsche erfüllt: Lebensmittel, Zeltreparatur oder Schuhsohlen flicken. Glücklich, alles erledigt zu haben, fahren wir zurück nach San Pedro de Atacama.

Potosí de Petra

San P. de Atacama – Laguna Verde – Laguna Colorado – Rio Grande - Uyuni
Wir fahren auf der gut asphaltierten Passstrasse gen Paso Jama. Nach 20 km biegen wir auf eine Schotterstrasse ab, die uns zur bolivianischen Grenze und von dort zur Laguna Blanca/Verde, unserem ersten Nachtquartier in Bolivien, bringt. Die Zollformalitäten bringen wir schnell hinter uns mit der kleinen Überraschung, dass Liam, Christina und Dipo 90 Tage, Philippe und ich nur 30 Tage Aufenthaltsbewilligung bekommen. Der sich strikt an Einreisebestimmungen haltende Beamte erklärt unseren irritierten Gesichtern, dass EU Länder bevorzugt werden.

Die erste Nacht wieder auf 4300 m erscheint uns nicht sehr erholsam, durch bereits erwaehnte Symptome wie Schlaflosigkeit und Herzklopfen. Wir wissen, dass die nächsten Tage eine ziemliche Herausforderung werden und nach den Erlebnissen von Paso Sico sind wir alle etwas nervös. Wir haben uns zu einem netten Grüppchen zusammmengefunden: Christina und Philippe, Dipo und ich, Liam ohne Claire, die nach den Erlebnissen vom Paso Sico kurzzeitig eine Jeepsafari vorzieht. Ich bin etwas neidisch auf diesen Entschluss und diese Gefühl legt sich auch nicht, als wir uns am nächsten Morgen aufmachen, um die ersten 44 km über grauenvoll holperige Wege und kaum fahrbare Steigungen kämpfen. Ich kann Dipos Begeisterung über diese windige Einöde mit Baustellencharakter nicht teilen. Es hat für mich nichts Faszinierendes. Diese 5-6000 m hohen Berge, die uns umgeben, spiegeln nichts Extremes wieder, da sie sich als sanfte Hügel um uns herum gruppieren. Niemals würde ich mir vorstellen können, dass so etwas brüchig aussehendes, von Erosion und Winden zerfurchtes Etwas als Berg bezeichnet werden kann. Mir scheint das Leben auf dieser Höhe und in dieser Mondlandschaft weder fuer Mensch noch Tier lebenswert. Den Lamas und Vicunas allerdings scheinen diese Bedingungen zu gefallen. Friedlich stehen sie umher, ernähren sich von der kargen Vegetation, glotzen uns an, wenn wir ächzend und schnaufend an ihnen vorbeiklettern. So manches der Tiere vermittelt mir den Eindruck, als wenn es sich kopfschüttlnd wundert über diese ungewöhnliche Herde auf Rädern, die an ihnen vorbeizieht.

Begeistert bin ich dann allerdings am Abend, als wir die Chalviri Thermen erreichen. Das Haus des Nationalparkwächters ist zwar geschlossen, es gelingt uns jedoch, uns im Vorraum zusammengepfercht ein kuscheliges Nachtlager einzurichten. Der Morgen beginnt natürlich mit einem gepflegten Bad im 50 Grad heissen Wasser, was gehörig für den ersten strapaziösen Tag entlohnt und auch noch die folgenden Tage anhält. Quietschvergnügt machen wir uns auf den Weg  nach dem 415 km entfernten Uyuni.

Wir fahren über Laguna Colorado, wo wir uns über den kolorierten See mit Tausenden von Flamingos freuen, über die Mine Copina, wo Bauxit gewonnen wird nach Villamar, dem ersten bewohnten Dorf mit Hostal und Verpflegungsmöglichkeiten. Weiter gehts nach Alota, was malerisch an einem Fluss liegt, dessen Wasser allerdings wegen seines Salzgehaltes weder zum Kochen noch zum Trinken verwendet werden kann. Schlussendlich landen wir in San Cristóbal, wo wir uns entscheiden, dem Geheimtipp eines chilenischen Guides zu folgen und über Rio Grande den Salar de Uyuni von Süden anzusteuern. Wir wollen die Salzwüste an einem Tag durchqueren, um über Colchani unser Etappenziel, die Stadt Uyuni, zu erreichen.

Eilig, um vor dem nahenden Sonnenuntergang eine Unterkunft zu finden, pedalen wir in Rio Grande ein. Schnell stellen wir fest, dass dieses “Kaff” ausser einer Kirche und einer Mine und vielen ärmlich aussehenden Häusern nichts zu bieten hat. Nachdem wir enttäuscht feststellen, dass es keine Unterkunft gibt, fragen wir uns bei den nicht sehr gesprächigen,  meist nur quechua-sprechenden Bewohnern durch, einen Raum oder etwas ähnliches zur Verfügung gestellt zu bekommen. In tiefster Dunkelheit und eisiger Kälte werden wir in einen finsteren Innenhof geführt, wo ein Schuppen mit Dach und Tür, jedoch nur mit verhängten Fenstern und Naturboden kurzerhand mit zwei Matrazen und einer brennenden Kerze ausgetattet wird. Dankbar und verstaubt kriechen wir in unsere Schlafsäcke und schlafen tief und ruhig, bis der erste Hahnenschrei und der kleine Brian, der jüngste Sohn der Familie, uns weckt. Mit verklebter Nase und ziemlich intensiv riechender Hose zupft er an unseren Schlafsaecken und bittet um “pancito”.

Nachdem wir im Hof zwischen Hühnern und Enten auf einem Entenstall, der uns als Tisch dient, für uns und die siebenkoepfige Familie Eierbrötchen und Café zubereitet haben, packen wir unsere Siebensachen. Fuer die Kinder scheint das Frühstück eine Ausnahme zu sein, obwohl die Eltern neben dem Job des Vaters in der Mine einen Laden betreiben, wo es Eier, Brot und Früchte gibt. Die siebenköpfige Familia hat keine Toilette und schläft in zwei Betten. Eine Küche kann ich nicht entdecken und die Mutter Alicia erklärt uns, wie traurig sie ist, dass ihr jüngstes Kind “wieder nur ein Mädchen ist”. Auf meine erschreckte Nachfrage hin erklärt sie mir, dass die Frauen in diesem Land leiden! Die Männer würden sie schlagen und unterdrücken, sie müssten alle Arbeiten im und ums Haus erledigen und hätten nichts zu melden!

Nachdenklich und etwas verstimmt über die trostlosen und ohnmächtigen Worte fahren wir aus Rio Grande, wo wir nach mehrmaligem Nachfragen keine genaue Angabe über die vermeintlich existierende Strasse in den “Salar de Uyuni” bekommen, los. Wir radeln querfeldein nach Kompass und treffen dann tatsaechlich auf einen Weg, der in Richtung Salzwüste führt, dem wir dann euphorisch folgen. Die Landschaft verändert sich nach einigen Kilometern: Das flache, von Moosgewächsen überdeckte, teilweise versandete Gebiet, wird zusehend von weissen Flecken durchsetzt, die der Landschaft zunehmend einen hellen Braunton verleihen, um dann schlussendlich in ein grelles Weiss ueberzugehen.

Als wir auf dieser höchst ungemütlichen Strasse aus salzverkrusteten, kokosnussgrossen Poltersteinen schon 20 km gekaempft haben, scheint sich dieser schnurgerade Damm in der Unendlichkeit zu verlieren. Was sich dann nach 25 km als traurige Tatsache erweist. Zwei von weitem sichtbare Salztürme signalisieren dann das jähe Ende dieser Strasse ins Unendliche und uns springt die Endlichkeit einer scheinbaren Unendlichkeit ins Gesicht bzw.vor die Räder. Vor uns liegt zwar eine weiterführende Strasse, die befindet sich jedoch ab hier unter einer glasklaren, stahlblauen, glitzernden Wasseroberflaeche. Uns umgibt ein Salzozean, ein Naturschauspiel der besonderen Art, das uns gleichzeitig zur Umkehr zwingt! Zwei Stunden später befinden wir uns missmutig wieder in Rio Grande. Liam beschliesst kurzerhand, sein Rad auf einen Pickup Richtung Uyuni aufzuladen. “Machs Gut, Liam!”- und er verschwindet in einer Staubwolke.

Dipo und ich bleibt noch ein kleiner Rest Enthusiasmus und wir machen uns trotz nahender Dunkelheit auf in Richtung Uyuni, entlang der Bahnlinie. Wir folgen einem parallel verlaufenden Pfad, der sich allerdings irgendwann im Sand verliert. Puh! Das Gleis ist zwar eine Richtungshilfe, aber eine sehr ungemütliche. Gerade als sich die Sonne verabschiedet, spüren wir das Rumpeln in den Schienen, hören das Rumpeln der rostigen Räder und sehen ihn! Tatsächlich nähert sich ein Güterzug mit vielen Waggons in unserer Richtung. Ein kurzer Blick genügt, wir sind uns einig. Wir heben unsere schweren Räder von den Schienen in sicheren Abstand und halten die Daumen raus. Die Lokomotive rattert bereits an uns vorbei, als das Fenster aufgerissen wird, der Beifahrer wild nach hinten winkt und der Zug kreischend in die Eisen geht. Der Gehilfe kommt angerannt und schreit von Weitem “Apurense, apurense!”- beeilt euch! Wir heben zu dritt mit vereinten Kräften ein Rad nach dem Anderen über die hohe Brüstung des Waggons. Drei Minuten später hocken wir in dem leeren Gueterwaggon und fallen uns in die Arme. Wir können unser Glück nicht fassen und bekleiden uns in Anbetracht der folgenden eiskalten 50 km mit allem, was wir in unseren Taschen finden. Der Zug hält 3 Stunden später drei Kilometer vor der Stadt, wo wir im Schutz der Dunkelheit zusammen mit anderen blinden Passagieren gegen ein kleines illegales Entgelt entladen werden mit der Bitte, niemandem in Uyuni davon zu erzaehlen. Die letzten drei Kilometer bringen wir mit leicht durchmischten Gefühlen hinter uns. Einerseits euphorisch voll freudiger Erwartung auf eine Dusche und ein weiches Bett, andererseits mit flauem Magen, da wir entgegen unseren Vorsatzen im Dunkeln durch finstere und zwielichtige Vororte radeln.

Potosí de Petra