Die Berichte

Villarcia - Cobquercura

Die Region, in der wir uns befinden, heisst Araucania. Benannt nach einem der aeltesten Gewaechse auf diesem Planeten (neben den Redwood Trees Nordamerikas). Im Nationalpark Conguillio stehen noch einige dieser Waelder, die einst grosse Teile der Region beherrschten. Die Fahrt dorthin scheint wie eine Reise in die Vergangenheit. Huegelige Schotterstrassen, warmes Herbstlicht, im Wind rauschende Pappelalleen, deren silbige Blattunterseiten wie kleine Fische in der Sonne aufblitzen. Wir rollen an abgelegenen Gehoeften vorbei. Die Zeit scheint stillzustehen. Die Menschen stehen an Zaeunen und winken uns froehlich zu und laecheln durch Zahnluecken. Im stehenbleiben ist irgendwo ein traeger Hammerschlag zu hoeren, sonst nichts. 100 km in eine Richtung nur Land, Idylle und Stille. Ein Leben wie aus einem Kinderbuch zieht an uns vorbei. Als es dunkelt, treffen wir Edgardo, der in aller Ruhe seine zwei Ochsen nach Hause treibt. Wir schieben unsere Raeder neben ihm her und er erzaehlt von seinem Leben hier. Wir verstehen natuerlich nicht alles, aber irgendwie nehmen wir ein Stueck mit von seiner Ruhe und Zufriedenheit. Wer hier lebt, muss sich aushalten koennen, die anderen suchen ihr Glueck im Laerm der Grossstadt, wo alles geht. 

Wir duerfen auf seinem Land zelten, seine lustigen Schweinchen sehen uns beim kochen zu und wir schlafen ruhig unter einem strahlenden Sternenhimmel.

Der Nationalpark Conguillio, der vom 3.100 m hohen Vulkan Llaima beherrscht wird, empfaengt uns mit Steigungen bis auf 1.500 m. Bei 28 Grad C pfluegen wir durch eine Mondlandschaft. Schwarze Vulkanasche, Lavabrocken und die Piste, die sich ueber Huegel hinauf schlaengelt, vereinzelte Buesche vom weissem Pampagras, flirrendes Sonnenlicht und darueber majestaetisch der Berg mit eine weissen Rauchfahne. Wir koennen es kaum glauben, dass wir Minuten spaeter an einem Flusslauf in einem schattigen Hohlweg Abkuehlung finden. Das Sonnenlicht faellt schraeg durch das bunte Blaetterdach, wie durch einen Vorhang. Die wenigen Touristen, die sich noch hierher verirren, glotzen uns durch die Scheibe ihrer Mietautos bloede an. Inmitten von Araukanien, die mit ihren stachligen Blaettern wie abgebrannte Sonnenschirme in die Hoehe ragen, schlagen wir unser Nachtlager auf. Am Ufer des Sees bekommen wir wieder zu spueren, das der Winter uns auf den Fersen ist. Das Kochgeschirr festgefroren, die Zeltplane steif. Belohnt werden wir mit dem Anblick von Morgenlicht ueber dem dampfenden See. Der Benzinkocher faucht, und bald darauf dampft heisser Kaffee in unseren Bechern. Aufbruch. Es geht weiter.

Westlich der Stadt Chillan steuern wir aufs Meer zu. Uns erwartet ein Kuestenabschnitt, der fuer seine sensationelle Brandung bei Wellenreitern bekannt ist. Wir werden mit dickem Nebel erwartet, der die triste Stimmung, die verlassene Badeorte verbreiten, noch zuer Melancholie zu steigern vermag. Das klingt sehr poetisch, aber wir hatten eigentlich ein wenig Sonnenbad bestellt. Statt dessen knueppeln wir grotesk steile Berge hoch, jeder Tag birgt 1.000 Hoehenmeter und der Nebel verpackt alles wie in Watte. Als wir bei einsetzender Daemmerung in La Trinchera ankommen, stellt sich heraus, das dieser Ort gar nicht existiert. Ein Punkt auf der Landkarte. Sonst nichts! Eine Strassenkreuzung, eine schmierige Kneipe, das wars. Enttaeuscht entschliessen wir uns weiterzufahren. Schmieriger Lehm klebt an den Reifen, wir fahren wie durch Honig eine nicht enden wollende Steigung hoch. Der Nebel wird dichter und dichter. Das Licht unserer Stirnlampen verliert sich fahl in der milchigen Suppe vor uns. Schemenhaft tauchen riesie Holzlastwagen auf, tiefe Schlagloecher, Dunkelheit, Muedigkeit, Kaelte. Wir entschliessen uns, das Zelt aufzuschlagen. Ich krieche durch einen Weidezaun, das knietiefe Gras ist vom Staub braun verklebt und um ein Haar trete ich auf eine Schlange. Ich hasse Schlangen und schlage vor weiterzufahren. Der Schreck sitzt mir in den Knochen. Als ein Pickup anrauscht, beenden wir das Abenteuer fuer diesen Tag und lassen uns von den freundlichen Fischern ins naechste Dorf mitnehmen. Wie bestellt hat seine Mama eine hospedaje und bald sitzen wir schwatzend, frisch gewaschen vor einer duftenden Fischsuppe. Wir haben wieder mal Glueck gehabt und freuen uns auf die naechsten Abenteuer.

Don Hernando, ein Mann mit viel Geschick und weiblichen Zuegen managt ganz allein das Hotel am See in Vichuquen. Er empfaengt galant die Gaeste, kocht, legt tolle Musik auf und erzaehlt eloquent die Geschichte der Region: von 1880 an wurde die gesamte Gegend durch ruecksichtslose Rodung fuer den Weizenanbau "kultiviert". Innerhalb von 20 Jahren war der Boden ausgelaugt, die steilen Haenge erodiert, den Rest besorgten dann die Schafe. Ein Schweizer namens Alispach ueberflog 1948 das Gebiet und fand den Ort, seinen Traum zu verwirklichen. Er kaufte das gesamte Land, baute Wege und pflanzte 3 Millionen Pinien um den Boden zu schuetzen. Damals belaechelt und boykottiert, gilt er heute als der Begruender der Holzwirtschaft von der die gesamte Region lebt. Ein wunderschoenes Hotel mit allem was dazugehoert, gefuehlvoll in die Landschaft eingebettet zeugt von seiner Vision. Geschaffen aus dem Nichts. Wir erkundigen uns nach dem Verbleib des alten Herrn, der zurueckgezogen in seiner Villa am See lebt und schon lange aus dem Geschaeft ausgeschieden ist.

Inspiriert von der Dreistigkeit, mit der damals Bruce Chatwin vorgegangen ist, bahnen wir uns den Weg am dunklen Ufer entlang und klopfen an seine Tuer. Ein erstaunlich ruestiger 97 jaehriger junger Mann oeffnet und bittet uns herein. Nachdem ich in wackeligen spanisch erklaere, wer wir sind, glitzen seine hellen Augen auf und er bittet uns auf schwitzerduetsch herein.

Als wir in sein gemuetliches Wohnzimmer gefuehrt werden, liegen drei Tageszeitungen auf dem Tisch, in die der 97 jaehrige gerade vertieft war. Wir werden Zeuge seiner geistigen Wachheit, als er uns seine Geschichte und die des Landes minutioes verraet. Wir erleben Geschichtsunterricht aus 1. Hand. Nach einer Stunde verabschieden wir uns mit Abschiedsfoto. Eine Reisende schrieb spaeter in unser Gaestebuch: "Das wahre Leben sind die Begegnungen".