Die Berichte

Lago Desierto

Wir buchen also das Boot auf dem ersten See und freuen uns auf den etwas abenteuerlichen Grenzuebergang nach Chile. Der Dauerregen der letzten drei Tage beruhigt sich am Mittwoch Morgen und wir radeln frohen Mutes und frisch erholt auf der idyllischen Talstrasse. Der letzte Nebel verzieht sich mit der aufgehenden Sonne. Noch leicht verhangen praesentiert sich Fitz Roy nun von hinten. Voller Dankbarkeit ueber diese geschenkten Tage in und um diese weltberuehmte Bergwelt geniessen wir die windlose Fahrt zum Lago Desierto.

Am See angekommen treffen wir Reiner, einen deutschen Fotographen sowie Claire und Liam, zwei englische Ciclistas auf Hochzeitsreise. Sie empfangen uns mit den Worten ”Das Boot ist kaputt und wird vor Freitag nicht repariert!”.

Entlang dem See existiert ein Wanderweg, schlecht fuer Wanderer, unpassierbar fuer Fahrradfahrer (so die Worte des Faehrmanns).

Um 16.30 faellt die Entscheidung: Wir werden zu fuenft diesen Weg auf uns nehmen und wollen das Nordende des Sees bis Freitagmittag erreichen. Wir laden soviel Gepaeck wie moeglich auf unsere Ruecken, um die Raeder zu entlasten und marschieren los bis zu den ersten Hindernissen, die keine 50 m auf sich warten lassen. Baumstaemme, Wegengen, Wurzelstoecke, Felsbrocken, Fluesse, Suempfe, waghalsige Aufstiege, unmenschliche Abstiege, Bachbette, Baumstammbruecken, gar keine Bruecken, Felstritte, wasserausgespuelte Muldenwege, versandete Passagen, Holz, Buesche und was es sonst noch zu ueberklettern, hochzusteigen, hinunterzurutschen,  zu uebersteigen, hochzuziehen, herueberzuheben, hinterherzuzerren, nachzuschleiffen, herueberzuwuchten ist !

Bis zum Eindunkeln haben wir kaum zweieinhalb der zwoelf Kilometer geschafft.

Der einzige Platz fuer hoechstens zwei Zelte bietet uns in der ersten Nacht der Wanderweg selbst, der diesen Namen nun wirklich nicht verdient hat. Am naechsten Tag geht es weiter. Abgesehen von den reizvollen Aussichtspunkten, an denen uns dieser halsbrecherische Andenweg vorbeibringt, ist es ein unbezahlbares Teambildungsseminar. Die Erlebnisse dieser zweieinhalbtaegigen intensivsten Zusammenarbeit schweissen uns in einer Form zusammen, die unwiederbringliche Freundschaft genannt werden kann. Etwas, das nur unter widrigen Umstaenden in extremer Situation in so kurzer Zeit entstehen kann. Jeder gibt sein Bestes, jeder gibt alles, um das gemeinsame Ziel, die argentinische Grenze am Ende des Sees zu erreichen. Es rollen Traenen, Schweiss, Gefaelligkeiten, schoene Nachtgeschichten, letzte Vorraete werden untereinander aufgeteilt. Alles ist eins, sogar der Sternenhimmel, unter dem wir schlafen. Wenn einer nicht mehr kann, uebernehmen die Anderen.

Ueber dem See toben 9 bis 10 Windstaerken, unsere Angst ist ploetzlich, das reparierte Boot unten im See vorbeiziehen zu sehen. “Egal, weiter!”. Fitz Roy scheint uns zu verhoehnen und zeigt sein Hinterteil unter besten Bedingungen vor blauem Hintergrund.

Am ersten Tag schafften wir gerade mal drei Stunden, bis es dunkel wurde, der zweite Tag dauert zehn Stunden und wir alle sind froh und unfaehig uns vorzustellen, dass der Tag elf Stunden lang waere. Am dritten Tag, es ist Freitag, kaempfen wir drei Stunden durch Suempfe, Waelder Berghaenge, Abgruende, bis wir auf den letzten 500 m am Kiesstrand entlang bis zur argentinischen Grenze ein nahes Ende bzw. Den Sieg ueber Unmoegliches erahnen. Freitag, 12.30 laufen wir an der Nordseite des Lago Desierto ein. Zu Fuss, erschoepft, ausgelaugt und uebergluecklich, dieses Unmoegliche moeglich gemacht zu haben!!! Wir umarmen und gratulieren uns innig, herzlich und voller Dankbarkeit.

Danach erscheint uns alles wie ein Kinderspiel. Wir holen uns unseren Ausreisestempel in der etwas dumpfen argentinischen Zollstation ab und laden einen Teil unseres Gepaecks auf Ricardos Pferde. Wir nehmen den vermeintlich unwegsamen Passweg auf uns, der uns nach den letzten Tagen wie ein Sonntagsspaziergang vorkommt. Wir erreichen die chilenische Grenze und nach einer halsbrecherischen Abfahrt auf 15 km groebstem Schotter betreten wir frierend und ausgelaugt die chilenische Zollstation! Die Zoellner, hocherfreut ueber wenigstens fuenf Besucher in einigen Tagen, moechten sich uns moeglichst lange erhalten. Sie stellen alle moeglichen und unmoeglichen Fragen, die wir geduldig schlotternd und skeptisch auf einbrechende Dunkelheit blickend, beantworten. Als Dipo und ich am Freitag Nacht endlich Ricardos Haus finden, sitzen die anderen schon laechelnd und stolz auf Geschafftes hinter einer waermenden Suppe: Hausgemacht von Ricardos Mutter.

Am naechsten Tag regnet es Hunde und Katzen und wir verbringen die Stunden bis zur Abfahrt des Schiffes, das uns ueber den Lago O Higgins nach Villa O Higgins bringen soll, am waermenden Ofen von Ricardos Mama!

Wir nehmen das Boot, das nur Samstags faehrt und staunen ueber den Seegang, den dieses Boot mit Geschick verkraftet. Die Wellen legen das Boot ordentlich zur Seite und mein Magen jubiliert, als wir endlich nach 3.5 Stunden sieben Kilometer vor Villa O Higgins anlegen.

Es ist bereits finster, als wir die Anlegestelle verlassen, um Richtung Dorf zu fahren. Ohne Beleuchtung, das Ziel vor Augen rumpeln wir im Pulk die holprige Piste entlang und hatten unbeschreibliches Glueck: Wie durch ein Wunder, so erfuhren wir erst am naechsten Tag, rasten wir an einem zwei Meter klaffenden Loch in einem “Viehrost” inmitten der Strasse vorbei. Ein “Treffer” haette wohl das Ende der Reise bedeutet.

Wir suchen uns zu fuenft ein Hostal im Dorf und realisieren zum ersten Mal, dass wir es geschafft haben: “Hallo, Carretera Austral!”