34 a | WIE ES WIRKLICH WAR IN COSTA RICA:
EIN TATSACHENBERICHT AUS DER SICHT
EINES RESTURLAUBERS

Happy are those who dream dreams,
and are ready to pay the price,
to make them come true.
L. J. Cardinal Suenenz

COSTA RICA
Wo der Globus als Nachtischlampe leuchtet
Der matte Schein des Globus gab gerade genug Licht, um zu erkennen, das die Uhr auf 4:30 sprang. Ich saß auf der Bettkante unseres Gästebettes mit meinem alten Kumpel Dipo, der mir vor ungefähr 150.000 Jahren in der Türkey beim alten Bayram in Cesme über den Weg gelaufen ist und starrte auf den Globus, auf dem der amerikanische Kontinent langsam zu einer braungrünen Fläche auf hellblauem Grund verschwamm..

„Egal wo Ihr seit - wenn Ihr zwei in genau einem Jahr noch zusammen radelt, bin ich bei Euch und feiere mit Euch Deinen 40-zigsten“

Ja , die Nacht war lang, Dipos 39-sigster und der letzte Abschied vor der langen Reise, gaben Grund genug sich noch mal gemeinsam „so richtig einen hinter die Binsen zu gießen“, zu „Highway to Hell“ wie die kleinen Kinder Luftgitarre zu spielen und barfuss im Schnee zu tanzen - aber deswegen muss ich doch nicht so eine oberschlauen Spruch ablassen! Zu spät - da stand er nun im Raum, direkt neben Dipo, der die Hosen runterliess und sich in die Falle haute. Er und Petra hatten ja schliesslich in 4 Stunden ein Date am Flughafen mit der Iberia. Den Rest kennt ihr ja schon . . .

11,5 Monate später
Es duftet nach Lebkuchen und Glühwein, die Menschen rennen hektisch an mir vorbei - oder ist es umgekehrt, das Handy klingelt, ich geh nicht ran, es ist 5 vor 6 und völlig ausser Atem drücke ich die Tür des kleinen HiFi-Geschäftes am Pasinger Marienplatz auf. Geschafft! Jetzt nur noch schnell den richtigen Kopfhörer für mein Laptop und dann bin ich bereit für morgen.
Habe gerade den Kunden von Gestern am Telefon da klingelt mein Laptop. Völlig ungewohnt. Handys und Telefone klingeln, meinetwegen auch noch Wecker oder Haustüren - aber der Laptop? Es funktioniert - skypen im Netzt - ich höre Dipos Stimme so klar und deutlich, als ob er mich aus dem Nachbarbüro anruft. „Also es bleibt dabei, 30.12.2006 Flughafen San Jose, Costa Rica, 15:00 Ortszeit und Ihr seit da - ich auch.“

Resturlaub
Zwei Wochen später klingelt es wieder - diesmal nicht der Laptop sondern der Wecker! Es ist 5:00, die Sachen stehen bereit und das Taxi holt mich um 5:30 ab. Das Bett neben mir ist leider leer und auch der Blick ins Kinderzimmer zeigt mir nur ein ungebrauchtes „Prinzessin Lilifee“ Bettzeug. Meine liebe Frau Vera und meine Tochter Lena sind gestern schon nach Österreich aufgebrochen, um dort Sylvester zu feiern. Auch Ihren Geburtstag wird Vera ohne mich feiern müssen. Hätte Ihr gerne noch einen lieben Abschiedkuss gegeben.

Am Flughafen raffe ich noch alle Jahresrückblicke 2006 die mir in die Finger kommen zusammen. Die Anden sind weit weg von Europa und die beiden werden sich über Lektüre sicher freuen. Eher beiläufig nehme ich noch ein Buch mit, was direkt neben der Kasse liegt: „Resturlaub“ von Tommy Jaud.  „Na ja passt ja, was für den Flieger“ denke ich mir.

Das ich im Landeanflug auf San Jose überlege „warum kann er nicht noch ein kleine Runde fliegen, es sind doch nur noch 12 Seiten“ , hätte ich mir in München nicht träumen lassen.

Das Buch spielt im fränkischen Bamberg und in einer Sprachschule im argentinischen Buenas Aires (die selbe, in der Dipo und Petra waren - wirklich!) und handelt über den Sinn des Lebens eines Fast-Vierziegers oder über einen, der ausgerechnet am Ende der Welt das sucht, was er zu Hause schon längst hat.

Ich schnalle mich an, lehne mich zurück, schließe die Augen und denke, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin.

Da stehe ich nun vor dem Spiegel in der noblen Flughafentoilette von San Jose, weiß wie ein Albino, die einzige Farbe die ich ausmache ist das grau meiner Augenhöhlen. In der Gepäckhalle läuft das Band seit 15 Minuten leer im Kreis und mir der Schweiß über meinen „Mittleren Ring“, der in den letzten 4 Jahre als gestresster Projektmanager leider immer mehr ausgebaut wurde. Draußen wartet das Paradies - und Petra und Dipo.

Braungebrannt, durchtrainiert und bester Laune stehen die beiden direkt am Ausgang, bewaffnet mit ne´m Strohhut und einer Pulle Whisky. Es fehlt nur noch das Schild mit meinem Namen drauf . . .

Es berührt mich, wie aufgeregt die beiden sind und wie liebevoll sie alles vorbereitet haben. Rückfahrt in die Stadt, ein Zimmer im Hostal und ein Mietwagen sind organisiert, so als wenn die beiden sich verpflichtet fühlen, dem durchorganisierten Manager aus Europa das Optimale zu bieten. Ich sitze im Bus, der uns zurück in die Stadt bringt und genieße die Anwesenheit der Beiden, die positive Ausstrahlung, das unkomplizierte und lebensfrohe, das von den beiden ausgeht. Jetzt muss nur noch meine Seele nachkommen.

Am nächsten Morgen wache ich um 6:00 Uhr auf, lege mich in die Hängematte, die in der Lounge des Hostals hängt, lese die letzten 12 Seiten meines Buches und beschließe daraufhin, dass dieses Buch das optimale Geschenk für Dipos 40-zigsten ist.

Dominical - Ort des Ankommens
Das Auto ist schnell gepackt, die Velos im Keller des Hostals verstaut und nach einigen Stunden finden wir uns auf  3.500 m auf der Panamericana in der Nebelsuppe wieder. Irgendwo da im Westen liegt der Pazifik!

Je weiter wir den Pass hinunter kommen, desto schneller steigen die Temperaturen. Ich sauge die  immer intensiver werdenden Gerüche durch die geöffneten Fenster auf und realisiere, dass Dipo die letzten 12 Monate kein Auto mehr gefahren ist. Wir reisen mit dem Auto so, wie die beiden mit dem Velo. Jeder besondere Baum wird wahrgenommen, die Blumen am Straßenrand und die Menschen vor ihren Hütten. Mir scheint, dass der Bezug zur Umwelt und zur Natur für die beiden viel intensiver geworden ist.

Immer genug zu Essen - und vor allem Wasser dabei zu haben, ist im Unterbewusstsein wohl so fest verankert, dass bei jedem  von uns eine Flasche Wasser im Fußraum liegt, obwohl wir laufend an Ständen mit herrlichen Fruchtsäften vorbeikommen.

Es sind diese Kleinigkeiten, die mir auffallen und an denen ich eindeutig spüre, dass 1 Jahr mit dem Velo in den Anden die beiden geprägt haben. Ich schließe kurz die Augen und genieße den Moment, gerade so wir er ist.

Morgen ist Sylvester und die Pazifikküste scheint die Familien von Costa Rica anzuziehen wie ein riesiger Magnet. Wir erreichen Dominical am späten Nachmittag und überall unter den Palmen direkt am Strand haben die „Tikkos“ ihre Lager aufgeschlagen. Eine freundliche und ausgelassene Stimmung schwingt durch diese kleine Ortschaft, wo der Tourismus gerade erst anklopft.

Wir finden eine einfache Bleibe direkt am Strand und richten uns auf der Terrasse im ersten Stock häuslich ein. Die Hängematte wird aufgehängt und - obwohl gleich nebenan - ein Cafe ist, wird der multifunktionale Gaskocher ausgepackt und erst einmal ein Kaffee gekocht.

Das Selbstverständnis, mit der Dipo und Petra mitten in der konsumgetriebenen Zivilisation unabhängig in sich ruhend agieren, sollte mich die nächsten Tage immer wieder positiv beeindrucken.

Ich genieße das Gefühl, angekommen zu sein und Dipo und Petra die vielen Kleinigkeiten des „Weihnachtsmannes“. Die Sonne küsst den Horizont und wir machen Pläne für die nächsten Tage, um sie dann gleich wieder zu verwerfen. Warum eigentlich noch woanders hin - schöner kann es eigentlich nicht werden!

Es ist Windstill und der „Miefquierl“ arbeitet auf Hochtouren. Die Wassermassen des Pazifiks rollen mit einer monotonen Beständigkeit auf das Land zu. Nach rund 7.000 km    - weit entfernt aus der Südsee kommend - bäumen sie sich zu einer beeindruckenden Brandung auf, um dann in tosender Gischt in sich zusammenzusinken. Wir beschließen , uns  morgen dieser Naturgewalt hinzugeben und Wellenreiten zu gehen, um dann den Rest des Abends bei Dosenbier und Rotwein damit zu verbringen, gemeinsam die Welt zu verbessern.

Wo Petra den Dipo küsst
Bob, der Surfmeister alle Klassen, war schwer beeindruckt von unserem Talent, konnte allerdings den Sonnenbrand auf meiner blassen mitteleuropäischen Winterhaut auch nicht verhindern. Das Jahr neigt sich dem Ende und wir wollen den Jahreswechsel bei Vollmond mit einem Festessen am Strand genießen.  Im Laufe des Abends füllt sich der Strand, mit Menschen, die dieselbe Idee hatten wie wir. Tausende von Lagerfeuern ziehen sich wie eine Perlenkette mit unsichtbarem Band die Küste entlang geben diesem Abend das angemessene Ambiente. Als dann um Mitternacht entlang der Küste das Feuerwerk in den sternenklaren Vollmondhimmel emporstieg und ich mit etwas Abstand die beiden in inniger Umarmung sah, fiel mir spontan dieser Spruch ein:

„Happy are those who dream dreams, and are ready to pay the price, to make them come true.”

Die Frequenz des “Miefquierls“ bescherte mir am nächsten Morgen höllische Kopfschmerzen (oder war eines der vielen „Löschzwerge“ etwa schlecht gewesen?)

Der Gaskocher - die gute Seele unseres Gepäcks - lieferte uns einen starken Kaffe und das dunkle Brot, Landjäger und Schweizer Käse gaben dem Frühstück eine europäische Note.

Das neue Jahr begann, wie das alte geendet hatte. Nie hatte ich in den gemeinsamen Tagen in Costa Rica das Gefühl, das 5. Rad am Wagen zu sein und so verbrachten wir wunderschöne gemeinsame Tage. Dipo und Petra genossen den „Urlaub vom Urlaub“ und ich die Tatsache, mit den Beiden eine Auszeit vom wirklichen Leben zu erleben.

Petra und ich „schenkten“ Dipo an seinem Geburtstag „einen Tag in der Hängematte unter Palmen“ und er genoss dieses Geschenk in vollen Zügen. Bis zum Sonnenuntergang verbrachte er den Tag in der Hängematte, die er nur verließ, um entweder etwas Abkühlung in der Brandung des Pazifiks zu finden oder sich einen neuen „Löschzwerg“ zu organisieren. Ansonsten hatte ich das Gefühl, sinnierte er über die letzten 40 Jahre seines Daseins - vielleicht aber auch über die nächsten 40 Jahre, las in dem Buch Resturlaub und fühlte sich einfach nur wohl.

Petra und ich hingegen hatten volles Programm. Wir trieben Prosecco im nächsten Ort auf, überredeten den Koch aus einem nahegelegenen Hotel, die von Petra irgendwo aufgetriebene Backmischung für uns in den Ofen zu schieben und organisierten ein Geburtstagsessen mit dem Chef des Hauses - immer das Risiko im Hinterkopf, das Dipo aus dieser Hängematte heute nicht mehr aufstehen würde.

In den kommenden Tagen schafften wir nur noch zweimal den Abspung zu einem anderen Ort, wobei die jeweiliges Tagesetappe vergleichbar war mit der einer Veloetappe in den Bergen bei Gegenwind. Egal - der Weg war das Ziel !

Als der Tag näher rückte, an dem Petra den Bus nach San Jose nehmen wollte, um mit dem Velo nach Norden zu guten Freunden zu fahren, schlich sich Melancholie ein und verdrängte langsam  die „Leichtigkeit des Seins“. Der Verstand sagte beiden, dass es Sinn macht, auch mal eigene Wege zu gehen (bzw. zu fahren) und sich nach so langer Zeit des Miteinanders auch mal wieder  eine Pause zu gönnen. Außerdem sollten „die Männer“ ja auch mal unter sich sein können. So war es abgemacht zwischen den beiden. Aber jetzt gab es eigentlich überhaupt keine Veranlassung dazu. Nichts desto Trotz fand ich mich plötzlich zum Abschied in Petras Armen wieder. Zwei Minuten später standen Dipo und ich am Straßenrand und schauten dem ausrangierten amerikanischen Schulbus nach, in dem Petra uns Richtung San Jose verließ.

Männerfreundschaft
Dipo und ich schauten uns an und wussten im ersten Moment mit der neuen Konstellation wenig anzufangen. Wir fuhren ziellos in die nächste Ortschaft und landeten, wie von Geisterhand geführt an einem Strand, an dem die abgefahrensten Freaks der amerikanischen Westküste surften und danach in einer Strandkneipe, in der eine Altrockerband den Jungs richtig einheizte. Genau der richtige Einstieg in die nächsten Tage der „Männerzeit“.

Uns zog es ins Landesinnere zu den Bergseen und Vulkanen. Wir verbrachten eine gute Zeit, deren Details zu wertvoll sind, um sie hier zu veröffentlichen. Lediglich ein Ereignis riss uns aus unserer mittlerweile eingespielten „Männerzweisamkeit“:

Nach einem guten Frühstück mit Eiern und Speck von Dipo auf dem Gaskocher zelebriert, fuhren wir in Gedanken versunken an dem Vulkan Arenal vorbei, als uns ein Velofahrer entgegen kam. Als wir ihm näher kamen, wurden die Konturen unverkennbar: Petra, mit ihrem unverwechselbaren Stil auf dem Velo zu sitzen, trampelte - ebenfalls in Gedanken versunken gleichmäßig in die Pedalen. Erst nach dem ersten Hupkonzert - wir waren schon an ihr vorbeigefahren - drehte sie den Kopf und erkannte uns. So gab es nach einem gemeinsamen zweiten Frühstück und dem Austausch der Erlebnisse der letzten vier Tage einen zweiten Abschied, den das Schicksal wohl so vorgesehen hatte.

Einen Tag später hat uns das Auto zuerst auf den höchsten Vulkan Costa Ricas gebeamt und von dort direkt in die Abflughalle des Flughafens. Dort stehen wir nun und der Abschied ist fällig. Wir reden nicht viel - es ist alles gesagt. Eine feste Umarmung, ein Blick in die Augen - und jeder verschwindet zurück in seine Welt.

34a | Auszeit - COSTA RICA (29.12.06 - 12.01.07)