Zeit der Mitte
23. Dezember 2006 - 16. Februar 2007
ZENTRALAMERIKA

Bei Corozal verlassen wir Zentralamerika und überqueren die mexikanische Grenze. Alles, was wir über das Land wussten, stammt aus Lucky Luke Heften oder von furchterregenden Berichten von anderen Radlern. „Überfälle, rigorose Autofahrer und Feindseligkeiten allerorten!“. Genau das Gegenteil war der Fall. Der erste Lkw bleibt brav hinter uns, schaltet seine Warnblinkanlage an und überholt uns großräumig. „Was is'n hier los?“ entfährt es Petra, so viel Fürsorge sind wir überhaupt nicht gewohnt.“ Die fahren, als würde auf Radfahrer ärgern die Todesstrafe stehen!“. Die ersten Kilometer jedoch langweilen uns mit wenig Abwechslung und heißen Temperaturen, die einzigen Oasen längs der Strasse sind die vielen „Cenotes“, die bei einem urzeitlichen Meteoriteneinschlag entstanden sind. Durch diesen gewaltigen Treffer wurde die gesamte Halbinsel förmlich „schaumig geschlagen“, so dass sich Hunderte dieser gewaltigen unterirdischen Blasen gebildet haben. In ganz Yukatan gibt es keine Flüsse, denn das gesamte Grundwasser befindet sich in diesen Depots. Zur Blütezeit der Maya waren diese logischerweise der Nabel von Siedlungen, gleichzeitig geheiligte Stätten, in denen so manche Jungfrau als Opfergabe entsorgt worden ist.

Vorbei an solch klangvollen Stätten wie Felipe Carillo Puerto hangeln wir uns müde und durstig vor Langeweile bis nach Tulum, berühmt für seine Strände und imposanten Mayaruinen. Im „Rancho Tranquillo“ lassen wir es erst mal ruhig angehen, genießen die Gesellschaft von ganz liebenswerten Alt - Hippies aus den USA, jeder will unsere Geschichte hören und wir bekommen (wieder mal) viele herzliche Einladungen „oben im Norden“. So exotisch mutet mir unser Unternehmen nicht an, es ist unser Leben geworden.

Vielen scheint jedoch das, was wir tun, so unglaublich und unvorstellbar, dass wir häufig der Mittelpunkt der Runde sind und natürlich mit immer den gleichen Fragen gelöchert werden. Mir ist dies oft unangenehm, ich ziehe mich zurück und genieße die wenigen Augenblicke, die fürs Alleinsein bleiben.

Wir nehmen das Kapitel „Mayaruinen“ im Dreierpack in Angriff: Tulum, Coba und Chichen Itza, schön aufgereiht wie auf einer Perlenkette auf unserer Route Richtung Merida. Schwer zu sagen, welche der Stätten mehr beeindruckt. Immer versuchen wir, den Besucherströmen zu entgehen, indem wir frühmorgens oder im Abendlicht durch die mystischen Anlagen streunen. Kein Foto und keine geschichtlichen Daten können wiedergeben, was diese majestätischen Ruinen für eine magische Wirkung ausstrahlen. Astronomische Beobachtungstürme, endlose Säulengänge und für mich als alten Handball - Veteran sind natürlich die heiligen Spielfelder besonders beeindruckend. In einer Kombination aus Tennis, Volleyball und Hula Hoop wurde versucht, den Ball zwischen zwei vertikalen Mauern mit Schultern und Hüften durch zwei steinerne Ringe zu bugsieren. Dem Sieger winkte die feierliche Enthauptung, zur damaligen Zeit eine besondere Ehrung. Niemand weiß genau, warum all diese Stätten, die manchmal bis zu 100.000 Menschen beherbergten, ca. um das Jahr 900 a.D. verlassen wurden.

Unser Abenteuer Yukatan geht dem Ende entgegen. Wir erreichen im Dämmerlicht Merida, von hier aus wollen wir den Flieger zur Baja California nehmen. Unser Ausflug nach Kolumbien, der nicht eingeplant war und die vielen schönen Begegnungen, die uns so oft zu einem „na dann bleiben wir halt noch!“ veranlasst haben, haben zu einem schwarzen Loch in unserem Zeitplan geführt. Zu gerne hätten wir Mexico „by fair means“ durchquert, doch in Eile macht das keinen Sinn.

Der freundliche Mitarbeiter am Schalter der Aeromexico besteht darauf, unsere Räder in Frischhaltefolie einwickeln zu müssen: Der Grund dafür, dass wir im Laufschritt die Tür zur Gangway vor der Nase zugeknallt bekommen. Die Bodenmannschaft stellt uns aber ruckzuck ein neues Ticket aus, nachdem sie bei der Berechnung unseres Übergewichtes (des Gepäcks!) alle verfügbaren Augen zugedrückt hatten. (Sehr sportlich, muy amable, companeros!). Wir sammeln also alle Leathermantools, die uns an der Sicherheitskontrolle abgenommen worden waren, wieder ein und checken nach diversen Kaffee - Belastungstests in den letzten Flieger ein.

Baja California
In der Ankunftshalle in La Paz schälen wir erst mal unsere Räder aus dem klebrigen Cellophan, umringt von neugierigen Drogenhunden und den daranhängenden Beamten. Alles nette Jungs, die üblichen Fragen und immer herblike Wünsche für unsere Reise.

Reingeradelt in La Paz laufen wir prompt in eine Gruppe „junggebliebener Abenteurer“: Bob, Steve, 2 mal Ron, Jim und John. Bärtig, drahtig und ohne Frauen. Kurzerhand werden wir ringleader zu einem Kajktrip in den Süden der Halbinsel.

“……die die mit den Walen kayaken….“

Wir zelten am Strand, schwimmen im eiskalten „mar de Cortez“ und paddeln mutterseelenallein vielleicht dem Höhepunkt unserer Reise entgegen dem Auftauchen von Buckelwalen vor unserer Nase, wie aus dem Nichts! Sie schauen uns zu, winzig und ausgeliefert kommen wir uns vor. Wie ein Geschoss katapultieren sich die gewaltigen Tiere aus dem Wasser. Das Echo des Aufpralls hallt von den Bergen wieder. Für uns wie ein Kreis, der sich schließt: Bald werden die Tiere aufbrechen auf ihre lange Reise ueber 10.000 km, mit Ziel Alaska - wie wir!

Froh, wieder im Sattel zu sitzen (die Gruppendynamik wurde uns nach drei Tagen doch zu kompliziert), nehmen wir ehrgeizig die Baja California unter die Räder. „Das Radlerparadies“ habe ich mal gelesen, fluch jedoch bei 6 Windstärken von vorn und einer komatösen Wüstenödnis vor mich hin. Telegraphenmasten, die sich in der Ferne zur Fata Morgana verdichten und nicht enden wollende Geraden (Ich erinnere mich an die Definition einer Geraden aus dem Geometrieunterricht).Der I Pod läuft auf Hochtouren, ich versuche immer und immer wieder mit verschiedenen Hypnose und NLP Tricks aus mir herauszutreten, mich in irgendeinen Wim Wenders Film reinzuprojizieren, doch die brennenden Beine und die km Angaben holen mich immer wieder zurück auf den Asphalt. Tatsächlich ist es so, dass die zweifellos herrlichen Küstenabschnitte hier hart erkämpft werden müssen oder auf gnadenlosen Zufahrtswegen erstrampelt werden wollen.

Ein Gedankeneineinwurf:
Was fantastisch ist so finde ich! Je struber der Tag, je anstrengender die Strecke, gleichmäßig gnadenlos und endlos desto intensiver ist die Gedankenwelt, die Träume und Erinnerungen. Es ist wie eine wochenlange Meditation oder Trancereise mit Wasser und Futteraufnahme. Tägliche Probleme minimieren sich auf Wesentliches wie Wasser, Essen, Schlaf und Temperaturregulation! Dazwischen liegt Wahrnehmung aber nur durch ständigen Wechsel. Ist es scheinbar visuell gleichbleibend suchen alle Sinne nach Geruch und Geräuschen, finden sie wenig dergleichen, ist den Gedanken  freien Lauf gegeben. Zieht sich das über Stunden. Breitet sich Deine Innenwelt sich voller Intensität aus.

Die Baja beschert uns trotz alledem wundervolle Eindrücke, gekrönt von einer erneuten Begegnung mit den Walen in Guerrero Negro: Am Fischerboot besucht uns eine Wal - Mama (15 m) mit ihrem Wal - Baby (6 m). Sanft hebt der Koloss unser Boot an und schiebt seinen gewaltigen Leib unter das Junge, hält es uns förmlich hin. Genießerisch dreht es sich, schließt die großen Augen, als wir es am Kopf kraulen. Ab und zu haucht es uns mit einem lauten Fauchen eine fisch-stinkende Wolke Atemluft ins Gesicht. Wir können es nicht fassen, dass diese Giganten uns ihre Zeit widmen. Nach einiger Zeit signalisieren sie uns, dass jetzt „siesta“ ist und wir gehen zurück an Land. „Nos vemos, amigos, arriba en Alaska!“ scherzen wir, doch im Inneren sind wir ganz still.
Es scheint, als wollten wir nicht loslassen. Zu sehr hat es uns schon eingenommen, das Leben in Lateinamerika, die Sprache und das Chaos. Um den Grenzübertritt noch etwas hinauszuzögern und uns nochmal die Einsamkeit und die Strassen des Altiplano in Erinnerung zu rufen, biegen wir bei Chapala rechts ab.

“Wo Koyoten heulen und Klapperschlangen dich zum Sonnenaufgang wachrasseln“
150 km Wüste, Berge und rustikale Schotterpisten liegen vor uns. Hier ist es so still, dass man das Blut in den Ohren rauschen hört, der Nachthimmel so klar, dass es uns fast erschlägt bei dem Anblick. Wir schlagen das Zelt hinter einem mustache Fels auf, jeder geht seiner Aufgabe nach, alles geht still und ohne Absprachen constantan, Hand in Hand. Ein kräftiges Abendessen (4-5 Portionen steht auf der Packung) und das Heulen der Kojoten wiegt uns in den Schlaf. Wir fühlen uns unendlich frei. Wir liegen im Zelt, erzählen uns von den Büchern, die wir gerade gelesen haben und rollen uns eng zusammen. Es wird kalt nachts in der Wüste und unsere Wintersachen warten erst in San Francisco wieder auf uns.

An einer Weggabelung hat Coco sein Camp aufgeschlagen. Er ist hier der Wächter der Wüste, humpelt auf seinem Holzbein von seinem alten Wohnwagen zum „Salon“, einem Bretterdach, wo alle, die sich hierher verirren, ein kaltes Bier zischen können. Unverfroren zockt er alle ab, die er nicht mag, um von mittellosen Vagabunden (wie z. B. uns) keinen Centavo zu verlangen. Fluchend, zahnlos lachend und stur wie ein Esel. Ein liebenswertes Unikum mit Ecken und Kanten. Von seinen weiblichen Besuchern zeugen  Minislips in phantasievollen Variationen, die handsigniert von der Decke baumeln. Wir stoßen auf einen Gästebucheintrag von Heinz Stuecke aus Deutschland, weltberühmter Dauerradler, seit 40 Jahren auf Achse, 420.000 km und 192 Länder hat er auf dem Buckel.

Nach zwei harten Rütteltagen über Sand und Schotter kommt uns Leon auf seinem Vierrad - Vehikel entgegen. Er lebt seit 47 Jahren in Puertecitos und lädt uns kurzerhand zu sich ein. „I like young people around me! Lets have dinner together - can you cook?“

Ein Vorgeschmack auf die unkomplizierte Art, die vielen Amerikanern eigen ist. Wir verbringen einen ganzen lustiger Tag mit diesem alten Haudegen, Petra räumt wie ein Wirbelwind seine Küche auf und erzählt ihm unanständige Witze. Wir helfen ihm nach Kräften, dem einsamen alten Mann fallen die Dinge sichtlich schwer und er genießt es offensichtlich, uns um sich zu haben. Die Verabschiedung fällt kurz aus, er hat Tränen in den Augen, als er in seiner Haustür verschwindet und wir davonradeln. „See you guys, you are good friends!“

Von weitem schon sehen wir das schwarze Asphaltband, wir rollen wieder lautlos dahin. Jetzt erst wird uns bewusst, was wir den Rädern zugemutet haben in den letzten 13 Monaten. Wir haben's geschafft, die USA sind nur zwei Tagesreisen entfernt, den treuen Rädern gönnen wir dann eine Generalüberholung und wir haben einen Meilenstein erreicht auf dem Weg nach Norden. „USA, here we come!“

37 | MEXICO (17.02. - 25.03.07)